130 Jahre Gewerbeverein Seligenstadt

130 Jahre Gewerbeverein Seligenstadt

Bei einem Streifzug durch die weite Seligenstädter Gewerbevereinsgeschichte ziehen viele Jahrzehnte am geistigen Auge vorbei. Weit geht der Blick zurück und bleibt das erste Mal bei der Auflösung der Zünfte hängen. Das ist die Geburtsstunde des Gewerbevereins – ab dann als branchenübergreifende Vereinigung. Er schweift vom Deutschen Kaiserreich bis zur heutigen globalen Welt, und sieht einen Gewerbeverein im Wandel der Zeit. Unverändert seit der Gründung geblieben sind seine Ziele. Es ging und geht um die Bündelung von Kräften und Kompetenzen zur Existenzsicherung und Kundenbindung mit einem ganz klaren Bekenntnis zum Standort Seligenstadt. Auch um den klaren gemeinsamen Willen, der Stimme mehr Gehör zu verschaffen und diese als eine zu erheben.

Berufe wie Ellenwarenhändler sind längst nicht mehr vertreten, Apotheker wiederum repräsentieren eine beständige Branche. Viel hat sich in Richtung Dienstleistung verschoben und das Thema Internet bestimmt die heutigen Gegebenheiten. Gekauft werden kann mittlerweile rund um die Uhr, an allen Tagen des Jahres, von jedem Ort der Welt. Die Herausforderungen der Gewerbetreibenden haben sich stetig gewandelt. Auch wiederholt, wenngleich unter jeweils anderen geschichtlichen Vorzeichen. Immer aber schon brauchte es Menschen mit dem Mut sich selbstständig zu machen, mit Unternehmergeist. Es bedurfte Gewerbetreibende mit dem Willen sich zusammenzuschließen, um gemeinsam etwas zu erreichen, um die Wirtschaftskraft und damit das Wohl einer ganzen Region zu erhalten und zu stärken. Eine Stadt braucht Gewerbe und Gewerbe braucht eine Stadt. Genauer gesagt die Menschen, die in ihr leben und arbeiten. Es geht um Versorgung vor Ort, um eine vitale Innenstadt, um Arbeits- und Ausbildungsplätze am Wohnort. Wenn die Kaufkraft im Ort bleibt und vom Umland erhöht wird, dann fließen Steuergelder direkt der heimatlichen Stadtverwaltung zu und somit ihrer Bürgerschaft. Urbanität tut einem Wohnort gut, sie erhöht die Lebensqualität.

Heute steht der Seligenstädter Gewerbeverein mit seinen rund 160 Mitgliedern modern und engagiert da, ist im guten Austausch mit der Stadtverwaltung und den politischen Kräften sowie mit der Vereinslandschaft. Grundsätzlich ist die Rathausspitze Teil des Vorstands genau wie ein Vertretender des Heimatbundes, dem Dachverband der Vereine.

„Es war dem Gewerbeverein immer schon wichtig, mit dem amtierenden Bürgermeister oder der amtierenden Bürgermeisterin gut und weitblickend zusammenzuarbeiten“, betont Wolfgang Reuter als Sprecher des Vorstandes.

Ein Meilenstein in der jüngeren Geschichte stellt die Gründung der SeligenStadtMarketing GmbH, der heutigen Seligenstadt Marketing & Tourismus GmbH, dar. Der Gewerbeverein ist zu 51 Prozent Anteilseigner, der zweite Gesellschafter mit 49 Prozent ist die Stadt Seligenstadt. Die langjährigen Vorstandsmitglieder Richard Fecher und Wolfgang Reuter erinnern sich gut, wie viel Überzeugungsarbeit notwendigen gewesen war, ehe der Gesellschaftervertrag im Jahr 2006 zustande gekommen ist. Heute blicken alle auf eine Erfolgsgeschichte zurück, entscheidend waren nicht Mehrheitsverhältnisse, sondern die Partner. Es sind zwei, mit demselben Herzensziel, nämlich der professionalisierten Bekanntmachung einer schönen und historischen Stadt mit ihren Angeboten. Es galt gemeinsam eine Empfehlung auszusprechen, hier Freizeit zu verbringen, zu arbeiten, zu gründen und zu wohnen.

Der Organisation der jahreszeitlichen Märkte beispielsweise konnte durch die Gründung der GmbH mehr Zeit gewidmet werden. Monika Weber als erste Assistentin der Geschäftsführung, zunächst kurz durch Wolfgang Pachali und später lange durch Wolfgang Reuter vertreten, legte hier die entscheidenden Grundsteine. Was im Jahr 1976 mit einer ersten Gewerbeschau zaghaft begonnen hatte, entwickelte sich zu einer fest etablierten Veranstaltungsreihe mit hoher Anziehungskraft für einen großen Umkreis. Der ursprüngliche Adventsmarkt war vor über vierzig Jahren noch begrenzt auf den Marktplatz und auf ein Wochenende. Heute begeistert er über zwei Wochen mit drei Wochenenden im erweiterten Stadtgebiet und findet auf dem Freihofplatz als Budenzauber bis ins neue Jahr hinein seinen beschaulichen Abschluss. Die Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Weinmärkte wuchsen ebenfalls zur festen Größe, allesamt mit verkaufsoffenen Sonntagen. Der Gewerbeverein hat sich rund dreißig Hütten im Baukastensystem fertigen lassen, so dass individuelle Größen und Ausstattungen möglich sind. Jeder Marktteilnehmender ohne eigene Hütte kann sie leihen, viele Aussteller sind von Anfang an dabei.

Zwischenzeitlich hatte es auch mehrfach eine Gesundheitsmesse gegeben. Die hiesigen Kliniken und die zahlreichen Facharztpraxen sind neben der wichtigen medizinischen Versorgung vor Ort auch ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Nicht nur als Gewerbesteuerzahler, sondern ganz besonders dadurch, dass viele begleitende Angehörige in Seligenstadt bummeln, flanieren, konsumieren und übernachten.

Unzählige gemeinsame Kleinaktionen hat es seit Gründung der GmbH gegeben, wie die Modelinie mit Herzschlag für Seligenstadt, mit der stilisierten Stadtsilhouette als Markenzeichen. Verschiedene Taschenmodelle ergänzen das Angebot als Accessoire mit lokalem Bezug und als Ersatz für Plastiktüten.

Das jährliche Aufstellen des Adventskranzes auf dem Freihofplatz zusammen mit der befreundeten Bauhandwerkerschaft und die Illumination der Bahnhofstraße waren weitere Projekte in Eigenregie, die aus dem Stadtgeschehen nicht mehr wegzudenken sind. Auch für die Seligenstädter Skate-Night, die es seit mehr als zwanzig Jahre gibt und sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, übernahm die gemeinsam gegründeten GmbH einen Teil der Organisation.

Im Jahr 2023 erfolgte die Umfirmierung von der SeligenStadtMarketing GmbH in die Seligenstadt Marketing & Tourismus GmbH. Die Assistentin der Geschäftsleitung heißt jetzt Silke Göbel und die Geschäftsführung ging von Wolfgang Reuter zu Dr. Ernst-Günter Graf und liegt jetzt in den Händen von Monika Klinger. Mit der namentlichen Neuausrichtung ging auch die Vermarktung des touristischen Angebots der Einhardstadt Seligenstadt sowie das Betreiben der Tourist-Info in die Hände der Gesellschaft über. Zukünftig wird daher auch das Büro der GmbH im ersten Stock des Einhardhauses sein. Ziel ist eine stärkere Positionierung der Einhardstadt Seligenstadt als regionale touristische Destination.

Touristische Gäste lassen Geld in der Stadt, keine Frage, aber es gilt ebenso die regionale Kaufkraft an Seligenstadt zu binden. Dem Ziel hat sich der Gewerbeverein mit der Einführung der „Seligenstädter Geschenk Card“ gewidmet. Der Schenkende legt sich zwar auf Seligenstadt als Einkaufsstadt fest, nicht aber auf ein bestimmtes Geschäft oder Betrieb. Der Beschenkte kann zwischen rund 80 teilnehmenden Geschäften, Restaurants, Cafés und Dienstleistenden wählen. Das Geld bleibt in der Stadt. Von den beteiligten Unternehmen kann sie wie Bargeld behandelt werden kann, es fallen keine Gebühren an. Mittlerweile haben sich einige Firmen die Karte als Bonuszahlung für ihre Mitarbeitenden oder als Kundengeschenk zu Nutze gemacht.

Um die Folgen der Corona Pandemie für den hiesigen Einzelhandel abzumildern hatte die Stadtverwaltung mehrfach in begrenzter Menge einen Gewerbevereins-Gutschein über 50 Euro zum Preis von 45 Euro angeboten. Die Zeit der Corona Pandemie hat den Zusammenhalt besonders des im Gewerbeverein vertretenden Einzelhandels und der Gastronomiebetriebe gestärkt. Auch kam es zu einer großen Solidaritätswelle von Seiten der Kundschaft. Mehrere Aktionen vom Stadtmarketing haben hier Mut gemacht und etwas Abhilfe geschaffen. Geschlossene Geschäftstüren, dunkle Schaufenster, hochgeklappte Außenbestuhlung während der Pandemie haben einen Eindruck davon gegeben, wie es sein kann, wenn eine Stadt mit Leerständen zu kämpfen hat, wenn die Lebendigkeit fehlt, die Menschen wegbleiben. Innenstädte mit ihren Plätzen als kulturelles Gemeingut dürfen nicht wie ausgestorben wirken, sie sollten von Geselligkeit geprägt sein. Und dazu gehört Gewerbe, dazu gehören Veranstaltungen, Märkte und Feste. Die Schönheit einer Stadt oder die historische Bedeutung alleine, reicht nicht aus.

Die Gründung des Seligenstädter Gewerbevereins im Jahr 1894 wurde im „Seligenstädter Anzeiger“ verkündet, die Idee dazu entstand im Gasthaus „Zum Hirschen“, heute ein Wohn- und Geschäftshaus. Zeitung und Ort sind Geschichte, der Gewerbeverein nicht. Er zeigt sich modern und zukunftsorientiert aufgestellt. Digitales Anmelden für die Märkte ist heute genauso selbstverständlich wie Öffentlichkeit über eigene Facebook- und Instagram-Kanäle zu schaffen. Das SeligenStadtPortal www.unser-seligenstadt.de dient der Information über die Einhardstadt sowie über aktuelle Angebote. Darüber hinaus ist es eine Plattform für Gewerbetreibende und Vereine.

Der Seligenstädter Gewerbeverein unterstützt regelmäßig Projekte der Stadt. Zum hundertsten Geburtstag etwa hat sich der Gewerbeverein mit einer sechsstelligen Summe am Bau des Marktplatzbrunnens beteiligt. Damals und auch zum jetzigen Jubiläum wird die Renovierung der Klostermühle bezuschusst – immer als Geschenk an die Stadt und ihre Bevölkerung!

Damit eine Stadt und ihre Industriegebiete nicht veröden, bedarf es dem Zusammenspiel vieler wichtiger Komponenten. Der Gewerbeverein ist eine davon. Das gemeinsam gegründete Stadtmarketing ebenfalls. Die städtische Wirtschaftsförderung eine weitere, sie zeichnet für eine gute öffentliche Infrastruktur verantwortlich. Günstige Gegebenheiten, wie eine Lage im Rhein-Main-Gebiet, tun ihr Übriges. Alles greift ineinander und verhindert Abwanderung und fördert Zuzug. Die Vitalität einer Stadt ist kein Selbstläufer.

Eine ehrenamtliche Tätigkeit im Gewerbeverein ist herausfordernd und kostet Zeit, die neben der selbstständigen Erwerbstätigkeit und der Familie oft knapp ist. Die Liebe zur Stadt und zu den zum Teil viele Generationen übergreifenden Familienbetrieben ist es, die hierfür immer wieder Kapazitäten freisetzt. Genauso wie die die gute, freundschaftliche und produktive Zusammenarbeit unter den Mitgliedern, angetrieben von einer verbindenden regionalen Identität. Eine 130-jährige Geschichte schreibt sich nicht von selbst, schon gar nicht als Erfolgsgeschichte – und nichts anderes darf der Anspruch sein!

Hier können Sie sich die Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Gewerbeverein Seligenstadt ansehen.